Predigt – 5 Jahre unter der Einflugschneise

alves-christePredigt im Gottesdienst zum Thema: „5 Jahre unter der Einflugschneise“

am 23.10.2016 in der Bergkirche (Pfarrerin Silke Alves-Christe)

Liebe Gemeinde!

Als ich vor 3 ½ Jahren zum ersten Mal gebeten wurde, bei einer der Montagsdemonstrationen im Terminal 1 eine Rede zu halten, da hatte ich damals als Bibeltext die 10 Gebote gewählt und hatte versucht, deutlich zu machen, was dieser grundlegende Text des jüdischen wie des christlichen Glaubens an wegweisenden Worten zu dem entstandenen Konflikt, zu der quälenden Überflugbelastung zu sagen hat.

Ich möchte heute, am Sonntag nach dem 5. Jahrestag der Einweihung der Nordwest-Landebahn, die für viele Menschen eine so große Belastung in ihr Leben gebracht hat, erneut die 10 Gebote mit Ihnen betrachten. Dazu bitte ich Sie, im Gesangbuch unter der Nummer 806.1 den Kleinen Katechismus Martin Luthers aufzuschlagen und jeweils das Gebot mit Martin Luthers Erklärung zu lesen.

Ich werde dann zu jedem Gebot zunächst vortragen, was ich damals im Flughafen gesagt habe und dann das, was ich heute hier in der Kirche dazu ergänzen möchte.


 

  • Das erste Gebot:

Ich bin der Herr, dein Gott.

Du sollst nicht andere Götter haben neben mir.

Was ist das?

Wir sollen Gott über alle Dinge

fürchten, lieben und vertrauen.

Viele Wirtschaftsunternehmer unserer Tage haben einen erstaunlich festen, unerschütterlichen Glauben. Sie glauben unbeirrbar an ein nicht endendes Wachstum.

Sie glauben, daß es immer so weitergehen kann mit ihrer Gewinnmaximierung. Ihr Götzendienst ist die Anbetung von Geld, Gewinn und Rendite.

Sie sind vernarrt in ihren Profit.

Die Bibel nennt solche Götter Mammon und sagt:

Du kannst nicht Gott dienen und dem Mammon. 

Wir alle hier sind Opfer eines solchen Irrglaubens, einer solchen Vergötterung des Wachstums. Menschen, die eine Wachstumsideologie als Götzen anbeten, verlieren den Blick dafür, wie sehr sie anderen Menschen Schaden zufügen.

Das erste Gebot ist für mich in der Auseinandersetzung um den ungezügelten Flughafenausbau immer zentraler geworden.

Die Aufforderung, Gott an die erste Stelle zu setzen und nichts und niemanden neben oder gar über Gott zu setzen, kann uns davor bewahren, uns irgendwelchen weltlichen Mächten quasi gottergeben zu unterwerfen. Ich bin sehr dankbar für die Freiheit, die das erste Gebot mir schenkt.

Wenn Befürworter des Flughafenausbaus einen ungebremsten Wachstumswahn absolut setzen, und gar nicht in der Lage sind, in anderen Kategorien zu denken, dann macht das auf mich überhaupt keinen Eindruck.

Wenn Gesprächspartner, die unserem bleibenden Engagement gegen die Überflugbelastung keinerlei Erfolgsaussichten zutrauen, geradezu fatalistisch und schicksalsergeben allein an die Macht von Wirtschaft und Technik und Geld glauben, dann macht diese unbeirrbare Ergebenheit in die Macht des Geldes auf mich überhaupt keinen Eindruck.

Durch das erste Gebot wird alles andere auf dieser Erde relativiert, d.h. an den ihm von Gott gegebenen Platz gestellt: Nichts auf dieser Welt darf vergöttert werden. Nichts auf dieser Welt darf gottgleich verehrt und angebetet werden. Vor nichts auf dieser Welt müssen wir in Ehrfurcht erstarren.

Im christlichen Glauben steckt etwas, das uns davor bewahren kann, den Herren dieser Welt einen absoluten Rang zuzuerkennen.

Das erste Gebot bewahrt übrigens auch uns zum Teil sehr engagierte Ausbaugegner davor, unser Engagement gegen die Überflugbelastung an die erste Stelle in unserem Leben zu setzen. Unser Einsatz ist wichtig und gut, aber er darf nicht über allen anderen Dingen stehen, er darf unser Leben nicht absolut bestimmen. Das erste Gebot will uns davon befreien, dass uns etwas ganz gefangen nimmt und alles beansprucht.


  • Das zweite Gebot:

Du sollst den Namen des Herrn, deines Gottes, nicht unnütz gebrauchen;

denn der Herr wird den nicht ungestraft lassen, der seinen Namen missbraucht.

Was ist das?

Wir sollen Gott fürchten und lieben,

dass wir bei seinem Namen nicht fluchen, schwören, zaubern, lügen oder trügen,

sondern ihn in allen Nöten anrufen, beten, loben und danken.

Dazu möchte ich nur sagen: man soll auch das C für „christlich“ nicht mißbrauchen, d.h. nicht im Namen führen, wenn man nicht bereit ist, sich seinen Mitmenschen gegenüber christlich zu verhalten, sprich: sich dafür einzusetzen, daß Menschen nicht länger unerträglichen Belastungen ausgesetzt werden.

Zu meiner Anmerkung von damals möchte ich hinzufügen, wie verwundert ich war, dass ausgerechnet der Frankfurter Kirchendezernent kein einziges Wort des Verständnisses für unsere Situation als Fluglärmbetroffenen fand, sondern nur ganz außergewöhnlich scharf und heftig kritisiert hat, dass der Oberbürgermeister im letzten Sommer uns Betroffene als wenig beachtete Minderheit einmal in den Kaisersaal des Römers eingeladen hat.


 

  • Das dritte Gebot:

Du sollst den Feiertag heiligen.

Was ist das?

Wir sollen Gott fürchten und lieben,

dass wir die Predigt und sein Wort nicht verachten,

sondern es heilig halten, gerne hören und lernen.

Ich bin davon überzeugt, daß es für unser aller Gesundheit wichtig ist, einen Tag in der Woche herauszunehmen aus dem Jagen nach Gewinn, daß es allen gut tun würde, einen Tag zu ruhen von unseren Werken. Mir gefällt ein Slogan, mit dem die Kirche sich für den Schutz des Sonntags einsetzt. Er lautet: Ohne Sonntag gibt‘s nur noch Werktage. Aber bei uns unter der Einflugschneise gibt es sowieso nur noch Werktage. Wenn schon um 5 Uhr die Sonntagsruhe zerrissen ist, dann wird es mir als Christin verwehrt, den Sonntag heilig zu halten. Die Formulierung unseres Grundgesetzes, daß der Sonntag als Tag der seelischen Erhebung gesetzlich geschützt ist, empfinde ich als Hohn.

Ergänzen möchte ich: Wenn schon das dritte Gebot unter den Flugschneisen keine Gültigkeit hat, wenn auch der Schutz des Sonntags im Grundgesetz unter den Flugschneisen für ungültig erklärt wurde, so würden es die gegenwärtigen Flugzahlen – bei etwas gutem Willen – sicher zulassen, den unterschiedlichen betroffenen Regionen dann und wann einen überflugfreien Sonntag einzurichten. Das wäre eine Lärmpause, die Sinn macht und diesen Namen verdienen würde.


 

  • Das vierte Gebot:

Du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren,

auf dass dir’s wohlgehe und du lange lebest auf Erden.

Was ist das?

Wir sollen Gott fürchten und lieben,

dass wir unsere Eltern und Herren nicht verachten noch erzürnen,

sondern sie in Ehren halten, ihnen dienen, gehorchen,

sie lieb und wert haben.

Das vierte Gebot hatte ich damals ausgelassen, weil ich bei ihm keinen Bezug zu unserer Thematik erkennen konnte.

Inzwischen war ich mehrfach in Flörsheim und habe einen tieferen Einblick in die Problematik dort gewonnen und möchte darum von einem Gespräch erzählen, das ich bei einer unserer Demonstrationen vor dem Rheingau-Musik-Festival hatte:

Ein Konzertbesucher machte sich mir gegenüber darüber lustig, dass beim dem Flörsheimer Casa-Programm Familien ihre Häuser an Fraport verkaufen, aber dann doch zur Miete darin wohnen bleiben. Das war für ihn ein Beweis, dass es so schlimm ja wohl nicht sein kann.

Ich erzählte ihm daraufhin von einer Familie, die es genauso gemacht hatte, wie er sagte, die dringend weg will aus der extremen Überflugbelastung, für die aber völlig klar ist, dass sie, solange der schon sehr alte Vater und Großvater in Flörsheim lebt, der seine Heimat auf keinen Fall verlassen will und keine Kraft mehr für einen Neubeginn hat, auch in Flörsheim bleiben, um im Alter in seiner Nähe zu sein.

Als dieser Kritiker hörte, wie andere Menschen das vierte Gebot erfüllen, da war er doch sichtlich erstaunt, auf welch tönernen Füßen sein Vorurteil stand.


 

  • Das fünfte Gebot:

Du sollst nicht töten.

Was ist das?

Wir sollen Gott fürchten und lieben,

dass wir unserm Nächsten an seinem Leibe keinen Schaden noch Leid tun,

sondern ihm helfen und beistehen in allen Nöten.

Martin Luther hat erklärt, daß dieses Gebot viel weiter zu fassen ist als nur auf direkte Tötungsdelikte:

Diese Hilfe in allen Nöten ist genau das, was wir unter der Einflugschneise dringend brauchen. Einen solchen Hilferuf trage ich jeden Montag auf meinem Schild mit mir herum.

Da habe ich geschrieben:

Ich brauche Hilfe!

Ich kann mich nicht mehr konzentrieren!

Ich kann nicht mehr (ausreichend) schlafen!

Ich kann nicht ungestört arbeiten!

Ich kann nicht mehr in Ruhe lesen!

Ich kann mich nicht mehr entspannen!

Ich lebe in einem Unrechtsstaat, der die Geldgier der Fraport höher achtet als mein Recht auf körperliche Unversehrtheit.

Ergänzen möchte ich, dass die gesundheitlichen Gefahren inzwischen durch mehrere Studien so erhärtet wurden, dass auch die, die immer noch behaupten, ihnen mache der Lärm nichts aus, diesem Thema mehr Beachtung schenken sollten.

Dass vor allem Depressionen als Folge der Dauerbeschallung festgestellt wurden, finde ich besonders erschreckend, weil diese Erkrankung oft schwer zu fassen und einzuordnen ist und für die Betroffenen ein großes Leid damit verbunden ist.

Luthers Formulierung:

dass wir unserm Nächsten an seinem Leibe

keinen Schaden noch Leid tun,

habe ich auch im Sinn, wenn ich an die Piloten und Flugbegleiter denke, von denen viele ihre Arbeit lieber täten, wenn sie wüssten, dass durch ihren Flug niemand aus dem Schlaf gerissen und erschreckt würde.


 

  • Das sechste Gebot:

Du sollst nicht ehebrechen.

Was ist das?

Wir sollen Gott fürchten und lieben,

dass wir keusch und zuchtvoll leben in Worten und Werken

und in der Ehe einander lieben und ehren.

Zu allem Schaden, den die Flughafenerweiterung unserer Region gebracht hat, muß ich als Seelsorgerin hinzufügen, daß die Überflugbelastung sogar den Bestand von Ehen und Familien gefährdet. In vielen Häusern unter der Einflug-schneise steigt die Gereiztheit. Der Haussegen hängt schief.

Etwa so: Er will nur noch weg, sie kann sich nicht vorstellen ihre Heimat zu verlassen. Was für eine Zerreißprobe wird den Ehen und Familien zugemutet! Es darf doch nicht sein, daß Fraport auch noch die Scheidungsrate erhöht!


  • Das siebente Gebot:

Du sollst nicht stehlen.

Was ist das?

Wir sollen Gott fürchten und lieben,

dass wir unsers Nächsten Geld oder Gut nicht nehmen noch mit falscher Ware oder Handel an uns bringen, sondern ihm sein Gut und Nahrung helfen bessern und behüten.

Eigentum und Besitz sind in unserem Rechtsstaat nicht mehr geschützt. Stille Enteignung, besser gesagt laute Enteignung ist an der Tagesordnung, wenn Häuser und Grundstücke von einem Tag auf den anderen eine solche Wertminderung erfahren.

Luthers Formulierung: wir sollen unserem Nächsten sein Gut helfen bessern, ist nicht erfüllt, wenn Fraport eine einmalige Entschädigung dafür bezahlt, dass Familien ihren Garten nicht mehr nutzen können oder im Schlafzimmer Lüfter einbaut, weil wir nie mit gekipptem Fenster schlafen können.

Das kann ich nicht bessern, sondern nur verschlimmbessern nennen.


 

  • Das achte Gebot:

Du sollst nicht falsch Zeugnis reden wider deinen Nächsten.

Was ist das?

Wir sollen Gott fürchten und lieben,

dass wir unsern Nächsten nicht belügen, verraten, verleumden oder seinen Ruf verderben sondern sollen ihn entschuldigen, Gutes von ihm reden und alles zum besten kehren.

Sie alle wissen, wie viele Lügen, gefälschte Statistiken, Gefälligkeitsgutachten, geschönte Berechnungen, gebrochene Versprechen und falsche Versprechungen diese Landebahn überhaupt erst möglich gemacht haben. Eine Landebahn, die auf so viel Lug und Trug gebaut ist, darf keinen Bestand haben.

Eine Fehlentscheidung wird nicht dadurch richtig, daß sie teuer war.

Zum Gebot, kein falsches Zeugnis zu reden über andere Menschen, möchte ich ergänzen, dass über uns, die wir einen ungebremsten Ausbau des Frankfurter Flughafens für unverantwortlich halten, auch so manches falsche Zeugnis verbreitet wird. Für mich fängt das schon an, wenn wir als „Flughafengegner“ betitelt oder gar beschimpft werden.

Ich bin bei all den Demonstrationen und Aktionen noch nie einem Flughafengegner über den Weg gelaufen. Wir demonstrieren nicht gegen einen Flughafen in einem raumverträglichen Maß, sondern sind der Ansicht, dass ein völlig überdimensionierter, raumunverträglicher, grenzenloser Ausbau mitten in einer dicht besiedelten Region nicht verantwortet werden kann.

Als falsches Zeugnis über uns Gegner eines unbegrenzten Ausbaus empfinde ich auch die Aussage: „Na, dann dürfte ja niemand mehr fliegen!“ Wir kritisieren nicht einen maßvoll geplanten Flughafen, der unserer Region dient, sondern bekämpfen ein riesiges Umsteigedrehkreuz mitten im Rhein-Main-Gebiet, das für diesen Standort unvergleichlich viele Nachteile für so viele Menschen bringt, aber vergleichsweise wenige Vorteile für sehr wenige, die daran viel verdienen.

Statt falsches Zeugnis über andere zu verbreiten, müssten wir doch viel mehr anstreben, miteinander zu reden und aufeinander zu hören.


 

  • Das neunte Gebot:

Du sollst nicht begehren deines Nächsten Haus.

Was ist das?

Wir sollen Gott fürchten und lieben,

dass wir unserm Nächsten nicht mit List nach seinem Erbe oder Hause trachten und mit einem Schein des Rechts an uns bringen, sondern ihm dasselbe zu behalten förderlich und dienlich sein.

Unserem Nächsten förderlich und dienlich sein, sein Erbe und Haus zu behalten: Das geschieht jedenfalls nicht, wenn ein Haus sich von einem Tag zum andern unter der Einflugschneise befindet. Ich denke an die Menschen, die ihr Haus gern ihren Kindern und Enkeln vererben wollten, aber sich nun nicht wünschen können, dass junge Menschen für den Rest ihres Lebens dieser Lärmbelastung ausgesetzt sein werden.


 

  • Das zehnte Gebot:

Du sollst nicht begehren deines Nächsten Weib, Knecht, Magd, Vieh

noch alles, was sein ist.

Was ist das?

Wir sollen Gott fürchten und lieben,

dass wir unserm Nächsten nicht seine Frau, Gehilfen oder Vieh ausspannen, abwerben oder abspenstig machen, sondern dieselben anhalten, dass sie bleiben und tun, was sie schuldig sind.

Da ich von diesem zehnten Gebot keine Verbindung zum Thema Überflugbelastung sehe, möchte ich zum Schluß noch kurz auf den Satz hinweisen, mit dem Martin Luther in seinem Kleinen Katechismus mit den immer gleichen Worten seine Erklärungen beginnt.

Auf jedes einzelne Gebot folgt die Frage: Was ist das?

Und die Antwort beginnt mit den immer gleichen Worten:

Wir sollen Gott fürchten und lieben ….

Da geht es ja nicht darum, uns das Fürchten zu lehren, sondern es geht um die Ehrfurcht Gott gegenüber, aus der all unser Handeln in dieser Welt erwachsen soll. Ehrfurcht: ein Begriff, der offenbar längst aus der Mode gekommen ist.

Ich will aber darauf aufmerksam machen, dass wir nicht die Ehrfurcht aus dieser Welt verbannt habe, sondern dass wir eine erstaunlich ausgeprägte, ja autoritätshörige Ehrfrucht nicht mehr auf Gott, sondern auf ganz anderes richten. In der Diskussion um den Flughafenausbau habe ich den Eindruck, dass viele Menschen in Ehrfurcht erstarren vor der Macht eines Wirtschaftsunternehmens, aber keine Ehrfurcht empfinden vor der Würde eines kleinen Kindes, das – gerade eingeschlafen – beim nächsten Überflug wieder aus dem Schlaf gerissen wird.

Statt in Ehrfurcht zu erstarren vor angeblichen wirtschaftlichen Sachzwängen wünschte ich mir Ehrfurcht, Respekt vielmehr vor der Belastung der betroffenen Menschen.

Amen.

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