Sternmarsch – Rede von Pfarrerin Alves-Christe

28_sternmarschwLiebe Demonstranten und Passanten, liebe Bewohner und Besucher unserer Stadt!
Heute auf den Tag genau vor 5 Jahren hat sich unser Leben auf dem Sachsenhäuser Berg, auch in Oberrad und in Niederrad und an vielen anderen Orten im Rhein-Main-Gebiet, schlagartig verändert.
Von einem Tag auf den anderen waren wir plötzlich nicht mehr frei, unser Leben so zu gestalten, wie wir es für sinnvoll halten.
Vor 23 Uhr ist an Einschlafen nicht zu denken, um Punkt 5 Uhr früh ist der Schlaf beendet.
Seit 5 Jahren haben wir nicht mehr bei gekipptem Fenster geschlafen.

Wenn wir ein Zimmer lüften wollen, müssen wir uns so lange in ein anderes Zimmer begeben, um dem Lärm nicht ungeschützt ausgesetzt zu werden.
„Käfighaltung“ nennen wir das.
Auf dem Balkon zu sitzen, ist keine Erholung, sondern Stress.
Im Garten können wir uns nicht miteinander unterhalten.
Jedes Gespräch wird zerschnitten von den über uns hinweg donnernden Fliegern.
Das bringt so viel Unruhe und Unfrieden in unsere Häuser, auch Gereiztheit in unser Miteinander.
Bei der Beerdigung, die ich heute Morgen auf dem Südfriedhof halten musste, war das wieder eine große Anspannung, am Grab genau den kurzen Moment abzupassen, an dem die Segensworte für den Verstorbenen nicht übertönt werden von einem dröhnenden Flugzeug.
Als ich diese Problematik einmal mit einem Condor-Sprecher diskutierte, antwortete er mir: „Was reden Sie von den Toten? Ich habe zwei kleine Kinder. Die sind unsere Zukunft. Und Zukunft haben wir nur durch Wachstum.“
Wer schon nicht über die Würde der Trauernden auf dem Friedhof nachdenken möchte, der möge sich wenigstens anhören, was wir über unsere Kinder zu sagen haben:
Wir wünschen uns auch für unsere Kinder und Enkel, die unter den Flugschneisen wohnen und zur Schule gehen müssen, dass sie die gleichen Zukunftschancen haben wie die übrigen Frankfurter Kinder, dass ihr Lernen nicht ständig gestört wird durch die viel zu lauten Überflüge.
Wir finden aber auch, dass Trauernde ein Recht haben sollen, ihre Toten würdig zu bestatten und Gräber in Ruhe besuchen zu können.
Aufgrund dieser und vieler anderer schwerwiegender Belastungen durch die Überflüge – oft im Minutentakt – kommen wir seit 5 Jahren jeden Montag zu einer Demonstration im Terminal 1 des Flughafens zusammen. Ich finde ganz beachtlich, dass wir nach 5 Jahren immer noch mehrere hundert Demonstranten sind, die Montag für Montag deutlich machen, dass wir mit dieser Überflugbelastung nicht leben können.
Heute, am 5. Jahrestag der Einweihung der fehlgeplanten Nordwestlandebahn, kommen wir nicht im Flughafen – bei dem Verursacher unserer Qualen – zusammen, sondern auf dem Römerberg, mitten in der Stadt, in der wir so gern in Frieden leben möchten.
Aus dem Römer mussten wir uns schon anhören: Jeder hat das demokratische Recht, wegzuziehen. Das ist schon sehr ungewöhnlich, um nicht zu sagen schockierend, dass einer Oberbürgermeisterin, die sich um das Wohl aller Bürger ihrer Stadt sorgen sollte, nichts Anderes eingefallen ist, als vom Wegziehen zu reden.
Wir fordern das demokratische Recht zu bleiben.
Wir wollen in unserer Stadt wohnen und leben und sie mitgestalten.
Wir fordern das demokratische Recht, selbst zu bestimmen, wann wir schlafen gehen und wann wir morgens geweckt werden. Wir fordern das Recht, unsere Fenster öffnen zu können, ohne vom Lärm erschlagen zu werden.
Wir fordern das demokratische Recht auf körperliche und seelische Unversehrtheit.
Wir fordern, ohne gesundheitliche Risiken wie Schlafstörungen, Herz-Kreislauf- Erkrankungen oder Depressionen und ohne den gefährlichen Feinstaub in unserer Stadt leben zu können.
Wir fordern für unsere Kinder das demokratische Recht, ungehindert zu lernen,
die Worte ihrer Lehrer hören zu können und sich in der Schule und bei den Hausaufgaben konzentrieren zu können.
Wir sind dankbar, dass wir aus dem Römer, vor dem wir heute stehen, inzwischen auch andere Töne hören, als den Rat, wegzuziehen. Aber wir erwarten nicht nur von unserem Oberbürgermeister, sondern auch von den anderen, die im Römer Verantwortung tragen, dass sie unserer demokratisches Recht anerkennen, in unserer Stadt, in unseren Häusern und Wohnungen als freie Menschen zu leben.
Erlauben Sie mir, als Pfarrerin dazu einen kurzen Satz aus der Bibel zu zitieren.
Es ist ein Aufruf, den der Prophet Jeremia vor 2500 Jahren den Bewohnern einer Stadt zugerufen hat. Mir ist es wichtig, ihn heute hier vor dem Römer zu nennen.
Er lautet: Suchet der Stadt Bestes! oder in einer neueren Übersetzung: Seid um das Wohl der Stadt besorgt!
Wortwörtlich übersetzt heißt der Satz: Sucht den Frieden (Schalom) der Stadt!
Die Nordwestlandebahn, die nun schon seit 5 Jahren so viel Unglück, so viel Quälerei über so viele Bewohner der Stadt bringt, ist nicht zum Wohl der Stadt gebaut worden. Mit ihr ist nicht der Stadt Bestes erreicht worden.
Sie hat so viel Unfrieden in unsere Stadt gebracht.
Darum werde ich auch am 5. Jahrestag ihrer Eröffnung mein Urteil über die Nordwestlandebahn wiederholen, das lautet:
Eine Fehlentscheidung wird nicht dadurch richtig, dass sie teuer war.
Das Wohl der Stadt, der Frieden der Stadt und aller ihrer Bewohner ist ein viel teureres Gut, das es zu bewahren und zu schützen gilt.
Von allen Verantwortlichen im Römer erwarte ich, dass sie uns als den Gequälten und Friedlosen am 5. Jahrestag dieser fehlgeplanten Landebahn etwas Hilfreicheres sagen können als die frühere Oberbürgermeisterin.
Denn wir sind überzeugt:
Nicht wir Bewohner müssen weg, sondern diese Bahn muss weg.

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