„Drei Jahre unter der Einflugschneise“

Gottesdienst in der Bergkirche der Dreikönigsgemeinde am 26.10.2014 zum Thema: „Drei Jahre unter der Einflugschneise“

Predigt von Pfarrerin Silke Alves-Christe:

Liebe Gemeinde!
Immer wieder kommt es vor – vielen von Ihnen wird es so gehen wie mir –, dass ich Menschen wiedertreffe, denen ich irgendwann in den letzten drei Jahren von der unerträglichen Überflugbelastung und von den wöchentlichen Montagsdemonstrationen erzählt habe, und die beim Wiedersehen fragen, ob ich mich inzwischen an den Lärm gewöhnt habe. Wenn ich dann regelmäßig antworte, dass ich diese Belastung weiterhin unerträglich finde, und weiter jeden Montag im Terminal dagegen demonstriere, kommt ebenso regelmäßig die Reaktion: „aber doch ohne Aussicht auf irgendeinen Erfolg“.
Ich will jetzt nicht die durchaus erwähnenswerten Erfolge unseres regelmäßigen Protests aufzählen – da wäre einiges zu nennen –, sondern ich möchte diese pessimistische, resignative Einschätzung meiner Bekannten einmal genauer hinterfragen.
Es handelt sich bei meinen Gesprächspartnern fast durchweg um engagierte Christen, Pfarrerkollegen zum Beispiel oder andere Menschen, denen ihr christlicher Glauben viel bedeutet und die in Kirchengemeinden aktiv sind.
Sie gehen auch durchaus einfühlsam auf das Problem ein. Wobei man vielleicht fragen kann, ob etwa die Reaktion: „Das kann ich gut verstehen. Das könnte ich nicht aushalten!“ einfühlsam genannt werden darf.
Aber auch dieser Frage möchte ich nicht nachgehen, sondern mich beschäftigt dieses feste, geradezu fatalistische Überzeugtsein davon, dass die wirtschaftlichen Interessen auf jeden Fall siegen müssen. Ja, erstaunlich zaghaft meinen viele Menschen, die Macht von Wirtschaft und Technik schicksalsergeben hinnehmen zu müssen.
Ich kann diese unbeirrbare Ergebenheit in die Macht des Geldes nicht nachvollziehen.
Im christlichen Glauben steckt etwas, das uns davor bewahren müsste, uns irgendwelchen weltlichen Mächten quasi gottergeben zu unterwerfen.
Um das deutlich zu machen, habe ich einen ganz zentralen kurzen Text aus dem Matthäusevangelium ausgesucht. Er steht im Kapitel vor den Weherufen, die wir in der Schriftlesung hörten. In Matthäus 22,35-40 wird erzählt:
Ein Schriftgelehrter fragte Jesus:Meister, welches ist das höchste Gebot im Gesetz?
Jesus aber antwortete ihm: »Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und von ganzem Gemüt« (5.Mose 6,5). Dies ist das höchste und größte Gebot.
Das andere aber ist dem gleich: »Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst«
(3.Mose 19,18). In diesen beiden Geboten hängt das ganze Gesetz und die Propheten.
Danach gefragt, was das Höchste ist, an das wir uns halten sollen, zitiert Jesus zwei Sätze aus dem Alten Testament, aus der Tora:
»Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und von ganzem Gemüt«
und:
»Du sollst deinen Nächsten (also deinen Mitmenschen) lieben wie dich selbst«.
Mit dem Gebot, Gott zu lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und von ganzem Gemüt wird Gott an die erste Stelle gesetzt. Dies ist das höchste und größte Gebot. Alles andere auf dieser Erde wird dadurch relativiert, d.h. an den ihm von Gott gegebenen Platz gestellt: Nichts auf dieser Welt darf vergöttert werden. Nichts auf dieser Welt darf gottgleich verehrt und angebetet werden. Vor nichts auf dieser Welt müssen wir in Ehrfurcht erstarren.
Im christlichen Glauben steckt etwas, das uns davor bewahren müsste, den Herren dieser Welt einen absoluten Rang zuzuerkennen.
Die Aussage Jesu aus der Bergpredigt: „Niemand kann zwei Herren dienen. Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Mammon“ hat der Scheizer Dichterpfarrer Kurt Marti in einem Osterlied, das auch in unserem Gesangbuch steht, sehr ermutigend so übertragen:
Das könnte den Herren der Welt ja so passen,
wenn hier auf der Erde stets alles so bliebe,
wenn hier die Herrschaft der Herren,
wenn hier die Knechtschaft der Knechte
so weiterginge wie immer.
Dieses Lied möchte ich meinen christlichen Gesprächspartnern zur Antwort geben. Wenn wir den Herrn, unseren Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und von ganzem Gemüt, dann liegt darin immer ein Fragezeichen vor oder hinter der Herrschaft anderer Herren.

Vielleicht mussten manche von Ihnen als Konfirmanden noch zusätzlich zu den 10 Geboten die Erklärungen Martin Luthers aus seinem Kleinen Katechismus lernen.
Da folgt auf jedes einzelne Gebot die Frage: Was ist das? Und die Antwort beginnt mit den immer gleichen Worten: Was ist das? Wir sollen Gott fürchten und lieben ….
Da geht es ja nicht darum, Konfirmanden das Fürchten zu lehren, sondern es geht um die Ehrfurcht Gott gegenüber, aus der all unser Handeln in dieser Welt erwachsen soll. Damit komme ich auf einen Begriff zurück, der längst aus der Mode gekommen scheint: Ehrfurcht.
In vielen Bereichen unseres Lebens haben wir uns die Ehrfurcht abgewöhnt. Autoritäten, zu denen man noch vor 50 Jahren ehrfurchtsvoll aufblickte, haben diese Bedeutung längst verloren. Ich will diese Entwicklung auch nicht umkehren. Ich will nur darauf aufmerksam machen, dass wir nicht die Ehrfurcht aus dieser Welt verbannt habe, sondern dass wir eine erstaunlich ausgeprägte, ja autoritätshörige Ehrfrucht auf ganz anderes richten.
In der Diskussion um den Flughafenausbau habe ich den Eindruck, dass viele Menschen in Ehrfurcht erstarren vor der Macht eines Wirtschaftsunternehmens, aber keine Ehrfurcht empfinden vor der Würde eines kleinen Kindes, das – gerade eingeschlafen – beim nächsten Überflug wieder aus dem Schlaf gerissen wird.
Unsere Verehrung und Anbetung von Wirtschaftsmacht und Geld darf doch nicht dazu führen, dass ein Wirtschaftsunternehmen über die Schlafstunden von Kindern und damit über ihre persönliche und schulische Entwicklung entscheidet. Dem höchsten und größten Gebot der Gottesliebe stellt Jesus das andere gleich: »Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst«.

Ehrfurcht geht in die falsche Richtung, wenn der Wachstumswahn eines Wirtschafts-unternehmens z.B. geschützten Bannwald zerstört und betoniert und den Friedhöfen in der näheren Umgebung den Frieden und die Ruhe nimmt, die trauernde Menschen brauchen.
Der Friedensnobelpreisträger Albert Schweitzer hat den Begriff „Ehrfurcht“ genau da verortet, wo er hingehört, als er den wertvollen Begriff prägte: „Ehrfurcht vor dem Leben“.
Bannwald – dieser Begriff hatte ja einmal mit Ehrfurcht zu tun: Die Ehrfurcht davor, dass ein Wald wertvoll ist und nicht angetastet werden darf, wurde umgewandelt in die Ehrfurcht vor der Gewinnmaximierung eines Wirtschaftsbetriebes.
Friedhof – dieser Begriff hatte ja einmal mit Ehrfurcht zu tun: Die Ehrfurcht vor Tod und Trauer, die einen geschützten Raum des Friedens brauchen. Darum ist der Südfriedhof auch von einer schützenden Mauer umgeben, die nun aber als Schutz nicht mehr ausreicht.
Einen weiteren Begriff möchte ich beispielhaft unter die Lupe nehmen, den Begriff der Lärmpausen. Ich habe mich entschieden, das Wort Lärmpausen als Unwort des Jahres vorzuschlagen. Denn dieser Begriff macht deutlich, wie verquer und verdreht das Denken wird, wenn man vor falschen Autoritäten ehrfürchtig niederkniet. Der Begriff Lärmpausen suggeriert, dass Menschen mit ständigem Lärm durchaus leben können, wenn ihnen nur ab und zu eine Lärmpause geschenkt wird. Nicht mehr der Lärm ist die Ausnahme, sondern Lärm soll das Normale sein, von dem uns stundenweise mal eine Pause gewährt wird.
Nein, ich werde nicht hinnehmen, dass wirtschaftliche Interessen Vorrang haben vor dem Wohlergehen und dem Frieden von hunderttausend geplagten Menschen.
Nein, ich gehöre nicht zu den Menschen, die in Ehrfurcht erstarren vor angeblichen wirtschaftlichen Sachzwängen. Ehrfurcht, Respekt wünschte ich mir vielmehr vor der Belastung der betroffenen Menschen.
Der Bibeltext über das Doppelgebot der Liebe stellt uns erstens die Frage, wen oder was wir an die erste Stelle setzen: Von ganzem Herzen, von ganzer Seele und von ganzem Gemüt glaube ich als Christin daran, dass es eine höhere Macht gibt als die Macht des Geldes.
Der Bibeltext über das Doppelgebot der Liebe stellt uns zweitens die Frage, wie wir uns unserem Mitmenschen gegenüber verhalten. Die wunderbare Formulierung: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst gibt uns doch eine wertvolle Entscheidungshilfe an die Hand: Das, was wir für uns selbst als gut und wichtig erkennen, sollen wir auch unseren Mitmenschen zugestehen. Das, was wir selbst nicht zu ertragen bereit sind, dürfen auch unseren Mitmenschen nicht zumuten.
Ich bin sehr dankbar, im christlichen Glauben, in zahlreichen Bibeltexten, Aussagen und Gedanken zu finden, die meine Widerstandskraft stärken und mir – auch gegen den Augenschein – Hoffnung schenken.
Amen.

3 Gedanken zu „„Drei Jahre unter der Einflugschneise“

  1. danke Frau Alves-Christe, ich konnte leider nicht dabei sein am Sonntag aber wenn ich diese Text in ruhe lese, höre ich ihre Stimme dabei.

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